FRÜHER IST IM JENSEITS SCHON
Ein Buch über das Leben
Portraits und Zitate von zehn Menschen im Alter
Veröffentlicht auf Spiegel Online, Februar 2017
Der Zug hält, wir sind in der Nähe von Aachen. Wenige Meter vom Bahnhof befindet sich ein großer Gebäudekomplex, ein Altenheim. Wir sind mit Luzie verabredet. Sie ist 105 Jahre alt. Ihre Tür ist offen, das Zimmer dekoriert mit Familienfotos und Spitzendecke.
Luzie sitzt im Rollstuhl, ihr braun gebranntes Gesicht ist zum Fenster gewandt. Immer wenn die Sonne scheint, setzt sie sich nach draußen auf den Balkon, erzählt sie. Sie hört nicht mehr gut, doch ihre Augen sind wach und glänzend, ihre Worte klar und bestimmt. Auf dem Tisch steht ein Glas Buttermilch, ihr Lieblingsgetränk. Daneben ein Fotoalbum von ihrem hundertsten Geburtstag. Luzie bietet Sekt an, Schnaps habe sie auch da, sagt sie und lacht. Ein Lachen, das schon über hundert Jahre auf der Welt ist. Ein Lachen voller Leben.
Wir stellen Fragen. Was sind ihre Wünsche, ihre Ängste? Was ist wirklich wichtig im Leben, wenn man nicht mehr auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit blickt? Hat das alles einen Sinn? Brauchen wir einen Sinn? Es ist nicht die eine, große Antwort, die bewegt. Es sind die kleinen Geschichten, die den Menschen ausmachen.
Wir unterhalten uns mit zehn Menschen im Alter, besuchen sie in ihrer Wohnung, auf ihrem Bauernhof, im Altenheim. Wir wollen ein Gefühl für das Leben und den Tod bekommen. Wir wollen Menschen, Lebensgeschichten und Weisheiten begegnen.
Die Gespräche sind traurig und aufmunternd, bedrückend und erleichternd. Sie erzählen von einem erfüllten Leben, vom Scheitern, von Hoffnung und Enttäuschung. In den Zimmern wird die Zeit zurück gedreht, wir dürfen Jugendgeschichten lauschen: Es sind Geschichten von der einen großen Liebe, von Tanzveranstaltungen, von Sommertagen am See. Erinnerungen, die gestern hätten sein können und doch immer mehr verblassen.
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Marie Kreibich