EVE

Portraits und Interview
Veröffentlicht auf bento und Spiegel Online, Januar 2017

Eve ist zehn Jahre alt. Nackt steht sie vor dem Spiegel. Ein ungutes Gefühl. Da stimmt etwas nicht.

Ihr Spiegelbild passt nicht zu ihr. Ihr Körper passt nicht zu ihr, es ist der Körper eines Jungen. Wie kann das sein? Sie hat Angst.

Vor dem Sportunterricht geht sie mit den Jungs in die Umkleidekabine. Nach dem Sport duscht sie mit ihnen.
Da ist dieser eine Junge, den sie besonders süß findet. Das ist peinlich.

Ein Blick genügt und bei Neugeborenen steht fest: Junge oder Mädchen. Jungen kriegen Jungennamen, Mädchen kriegen Mädchennamen. Auf der Geburtsurkunde wird das Geschlecht angekreuzt. Und damit steht für dein Leben lang fest, wie du angesprochen und wahrgenommen wirst. Auf welche Toilette du zu gehen hast, wie du dich kleiden und geben sollst.

Die Genitalien legen fest, zu welcher Kategorie Mensch du gehörst. Aber was, wenn das eben doch nicht so einfach ist? Wenn dein Geschlechtsteil eben nicht zeigt, wer du wirklich bist?

Heute ist Eve 29 Jahre alt. Seit fünf Jahren lebt und studiert sie in Deutschland, eigentlich kommt sie aus Haiti. Im Januar 1987 wurde Homosexualität in Haiti legalisiert, doch die Diskriminierung ist bis heute nicht ausdrücklich verboten. Das bekommt Eve über ihre Kindheit und Jugend hinweg zu spüren.

Dabei ist sie nicht homosexuell, sie mag Männer. Und sie ist ja eine Frau. „Ich bin eine Frau im Männerkörper, die einen Mann möchte, der eine Frau in mir sieht“, sagt sie. Aber das ist vielen Menschen zu kompliziert. Es fehlt die Schublade, in die sie Eve einordnen können.

Auch in Deutschland erlebt sie häufig unangenehme Situationen. Ständig tuschelt jemand: „Ist das ein Mann oder eine Frau?“ Danach wird so getan, als wurde nichts gesagt. Das sticht besonders. „Nur weil ich anders aussehe, bin ich auch taub, oder was?“

An eine Situation kann sie sich noch besonders gut erinnern: Beim Feiern wurde ihr vorgeworfen, dass Transfrauen den Männern etwas vorspielen würden, was sie nicht sind: „Ganz ehrlich, ich sage niemandem, dass ich die Mutter seiner Kinder werde.“

Eve steht immer dazwischen. Manchmal sieht sie kurz aus wie der Junge, der sie mal war. In der nächsten Sekunde ist sie wieder die Frau, die sie ist. „Es ist ein Weg zwischen beiden Geschlechtern, zwischen dem Gelebten und dem Gegebenen“, sagt sie.

Sie hat das Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Ungreifbar zu sein für das Gegenüber, irgendwie seltsam und anders. Kreuzt sie „Mann“ oder „Frau“ an? Eve heißt eigentlich nicht Eve. Es ist die geschlechtsneutrale Abkürzung ihres männlichen Namens. Auf dem Papier ist sie noch immer ein Mann.

Ihr jetziger Freund gibt ihr das erste Mal das Gefühl, dass es okay ist, sie selbst zu sein. Sie hatte Angst, sich auf ihn einzulassen. Ob er mit ihr, und allem was dazu gehört, klar kommt? Es funktioniert: „Durch ihn wird meine Weiblichkeit verstärkt, er sieht mich als Frau.“ Ihr Lachen klingt wie von einem aufgedrehten, jungen Mädchen. Schon früh hat sie mit Übungen angefangen, um den Stimmbruch abzufangen.

Eve trägt am liebsten Jeans und Turnschuhe. „Welche Frau ist denn immer rasiert, geschminkt und trägt High Heels?“ In ihren früheren Beziehungen ist sie vor dem Mann aufgestanden, um sich zu stylen, bevor er wach wird. Darauf hat sie keine Lust mehr. „Es ist nicht schön, wenn man das Gefühl hat, dass man sich verkleiden muss, um als Frau wahrgenommen und attraktiv gefunden zu werden.“

Vor knapp einem Jahr beginnt Eve mit der Hormontherapie, eine Operation plant sie erst mal nicht. „Meine Eltern haben gesagt, dass ich erst mal lernen muss, meinen eigenen Körper zu lieben, bevor ich ihn verändere.“ Heute sagt sie: eine weise Entscheidung.

Das erste halbe Jahr bekommt sie Testosteronblocker, es folgen Östrogene. Eve ist oft müde. Es ist anstrengend, den Körper zu verwandeln. Aber noch anstrengender ist es, jeden Tag dafür zu kämpfen, zu sein, wer man ist.

Vor Beginn der Hormontherapie wurde ein psychologisches Gutachten benötigt. Dafür muss Eve für ein Jahr zu einem Psychologen gehen und einen „Alltagstest“ durchführen. Sprich, Eve soll in allen Bereichen ihres Lebens als Frau auftreten und regelmäßig über ihre Erfahrungen sprechen.

Für Eve ist alles klar. Wenn sie mit „er“ angesprochen wird, ist sie nicht sauer. Das muss wohl ein Versprecher sein. Sie ist eine „sie“, da gibt es nichts zu überlegen.

„Wenn ich jetzt sagen würde: okay, ich bin wieder ein Mann. Was wäre ich denn für ein komischer Mann?“

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